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Die ersten Zivildiener in der Rettungsstelle Egg


Die nachfolgenden Zeilen habe ich kürzlich per Email von Hanspeter Kathrein aus Telfs in Tirol erhalten.


Sehr geehrter Herr Riezler, lieber (unbekannter) Blog-Schreiber Klaus! 

Googeln und Surfen entführen mich bisweilen in den Bregenzerwald. So fand ich vor kurzem auch zu den „Stillen Helden“ auf Ihrem „Archiv Blog“, zur auszugsweisen Chronik der Rettungsstelle Egg (22. Jänner 2021). Mit großem Interesse habe ich die Worte und Bilder gleichsam aufgesogen – und festgestellt, dass der Beitrag an keiner Stelle den Einsatz der Zivildiener erwähnt. Das hat mich bewogen, am Wochenende ein paar persönliche Erinnerungen an meine Zeit in Egg zusammenzustellen – ebenfalls auszugsweise, wie ich vorausschicke. Vielleicht ist das eine oder andere auch für Sie interessant.

Schöne Grüße, 

Hanspeter Kathrein

 

Hanspeter Kathrein, heute.


Hanspeter Kathrein, damals.


Angefügt waren die selbstverfassten Erinnerungen an Hanspeter's Zeit als Zivildiener in der Rettungsstelle Egg 1975/1976. Hanspeter hat sich bereit erklärt den Text mit meinen Lesern zu teilen. Er hat sogar noch ein paar Bilder von damals ausgegraben.

 

Hanspeter versah damals seinen Dienst im gerade erst fertiggestellten Rettungsheim in Egg.


Es ist schon verwunderlich, dass die ersten Zivildiener in der von Ing. Helmut Hammerer verfassten Chronik nicht erwähnt wurden.





Umso dankbarer bin ich, dass ich den Text von Hanspeter Kathrein mit euch teilen darf.

 

Egg 1975/1976

Erinnerungen an eine gute Zeit

 

Ich war einer der ersten legalen Zivildiener in Österreich. Das Zivildienstgesetz war 1974 beschlossen und mit 1.1.1975 in Kraft gesetzt worden. Bis dahin galt weithin als feiger Drückeberger, wer aus Gewissensgründen den Wehrdienst abgelehnt hatte und einen Ersatzdienst leistete. 17 Zivildiener hatten sich 1975 in Vorarlberg für den regulären Zivildienst gemeldet, 20 Plätze standen zur Verfügung, allesamt beim Roten Kreuz. Aufgrund dieses Zivildiener-Mangels wurden ein Kärntner und zwei Tiroler vor den Arlberg geholt. Einer der beiden Tiroler sollte ich sein…

 

Nach der Ausbildung zu Rettungssanitätern in Dornbirn wurden wir im Oktober 1975 aufs Land aufgeteilt – ich selber sollte die Zivildienstzeit „a dr Egg“ verbringen, zusammen mit Hermann Hagspiel aus Hittisau und Antrico Baumgartner aus Hard.


v.l.n.r.: Antrico Baumgartner, Hermann Hagspiel, Hanspeter Kathrein im Ausbildungslager in Dornbirn.


Lieber wäre ich „dussa am Land“ geblieben – doch Gott sei Dank kam es so, wie es gekommen ist: Bei Herbert und Theresia im „Haus Dahoam“ in der Engelgasse fanden wir tatsächlich ein „Daheim“; mit viel Wohlwollen und Herzenswärme wurden wir in der Familie Meusburger aufgenommen. Solches Wohlwollen war auch im Bregenzerwald anfangs nicht selbstverständlich. Zivildiener galten eben als Feiglinge und hatten eine linke Gesinnung zu haben – dabei hab’ ich mich (zumindest damals noch) bei jeder Wahl für Schwarz entschieden.


 Hanspeter Kathrein in der Engelgass bei der Familie Herbert Meusburger.


Doch es hat nicht lange gedauert, bis dieses einseitige Image in der Bevölkerung abgebaut war. Mein Kollege Hermann war selbst aus dem „Wald“, und auch ich als Galtürer Bauernbub wusste, wie Dorfleben in etwa funktioniert und wie ich mit den Leuten, die wir im Rettungswagen zu betreuen hatten, gut umgehen konnte. 


 

Nach acht Jahren internatsbedingter Heimatferne wollte ich jetzt vor allem eines: dazugehören. In kurzer Zeit habe ich mir mehr recht als schlecht den Wälder Dialekt angeeignet. Als Hilfe diente mir ein kleines Büchlein mit heimischen Liedtexten; ich hatte es im noch nicht ausgebauten Obergeschoß im Rettungsheim gefunden. In freien Stunden habe ich Gedichte auswendig gelernt und immer wieder rezitiert. Gebhard Wölfles Verse von 1902 klingen mir heute noch im Ohr: „Es goht durchs Dörfle us und in, as tosat und singt i’ der Ach …“. Wie stolz war ich, als mich beim Autostoppen zwischen Hohenems und Feldkirch ein Autolenker schon nach kurzer Fahrzeit fragte, von wo im Wald ich denn käme. Ich fühlte dort mich angekommen und angenommen. Ein Höhepunkt war, dass mir ein Altbauer aus Schoppernau seinen Hof in Leibrente übergeben wollte. Es hat ihn wohl überzeugt, dass ich mit einem Aebi-Transporter gleich vertraut war wie er mit seinem.

 

Doch von Schoppernau zurück zur Rotkreuzstelle in Egg, damals der einzigen im Bregenzerwald. Fünf Hauptamtliche taten hier Dienst: Helmut Wirthensohn als Dienstältester, er laborierte damals noch immer an den Folgen seines Unfalls bei Müselbach; Luggi Hammerer, der mich im Jassen nahezu perfektioniert hat und dem ich 2014 ein Jahr vor seinem Tod per Zufall nochmals begegnen durfte; Toni Elmenreich, dem ein gutes Arbeitsklima besonders am Herzen lag und der in schwierigen Situationen immer um Vermittlung bemüht war; „Hagars“ Sepp Feuerstein, den ich als ruhigen und besonnenen Rettungsfahrer in bester Erinnerung habe (sein Bruder Wiese ist als Bub in der Rettungschronik ganz am Anfang abgebildet – und in meiner Egger Zeit allzu früh verstorben); Franzl Ratz, der Jüngste im Quintett und kameradschaftlich bis zum Geht-nicht-Mehr. Anlässlich seines Pensionsantritts konnte ich ihn vor einigen Jahren mit einem Telefonanruf überraschen.

 

Aber nicht nur diese „Stillen Helden“ waren prägend, in Erinnerung blieb auch so mancher Rettungseinsatz. Ich denke da an den Transport einer bewusstlosen Schwangeren in kritischem Zustand, die wir im fast letzten Moment vor der Entbindung im Stadtspital an professionellere Hände abgeben konnten. Alles ist gutgegangen und mir fiel ein Stein – nein, die ganze Kanisfluh – vom Herzen. Äußerst bedrückend war und blieb mir der Unfall von Christine Kaufmann aus Schwarzenberg in Erinnerung – noch vor dem Transport ins LKH Feldkirch hat sich eine Querschnittslähmung abgezeichnet. Diese Einsatzdaten habe ich bis heute nicht vergessen: Unfall am Montag, den 8. März 1976, Fahrer Sepp Feuerstein, im Rettungsauto neben mir die weinende Mutter, Christines Vater als Versicherter wie mein Vater Jahrgang 1921, Christine wie ich Jahrgang 1957. Das ist unter die Haut gegangen. Später habe ich Christine bei ihrer REHA in Bad Häring wiedergetroffen. Ebenso im Kopf geblieben ist mir Gabi Peinlich (Egg-Stadel), die von einem Baum auf einen Pfosten gestürzt und gepfählt worden war. Die 14-jährige war so tapfer und hat beim Heimtransport die ganze Fahrt über durchgestrahlt.


 

Aber es gab auch viele angenehme Einsätze. Schülerinnen (oder andere „Schmealga“) nach leichten Schiunfällen zum Arzt oder ins Böckle zu bringen, war mitunter durchaus vergnüglich. Auch die Fahrten mit Gidis Hans (Egg-Mühle), den wir wiederholt zu Ärzten und zweimal sogar in die Zahnklinik Innsbruck bringen mussten. Er ist 2008 beim tragischen Brand im Altersheim Egg ums Leben gekommen. Vergnüglich waren meist auch die Rückfahrten vom Krankenhaus. Da lief – gefühlt nahezu immer – die Musik vom damals populären Bruno Pinter-Trio. Wie sehr hat sich Toni gefreut, als der Kassettenrekorder einmal passgenau im Schwarzachtobel das Lied von den Schlieferbuaba abgespult hat. Ein andermal, es war zur Zeit der Olympiade in Innsbruck, sind wir mit Blaulicht von Bregenz heimgefahren, um den Beginn einer TV-Übertragung nicht zu verpassen. Ob es die Abfahrt mit Sieger Franz Klammer oder der Sprung von Toni Innauer war, weiß ich heute nicht mehr. Gut in Erinnerung geblieben ist eine abenteuerliche Fahrt mit Luggi nach Warth. Bei Dunkelheit, starkem Schneefall und Schneefahrbahn gab der VW-Bus her, was er konnte – und fast auf. Um hinten mehr Gewicht zu bekommen, musste ich mich bald nach Schröcken auf die ausgezogene Krankentrage setzen – und siehe da, wir kamen weiter. Ich war patschnass, aber das Montieren der Schneeketten haben wir uns erspart!

 


 

Erst Mitmenschen machen das menschliche Leben wirklich wertvoll. So war es für mich auch im Bregenzerwald, und ein paar Personen seien hier aufgezählt. In Erinnerung blieben mir „Boss“ Helmut Hammerer wie auch die Frau von Fahrer Luggi Hammerer. Wenn ich nach freien Tagen nach Egg zurückkam, hat mir Katharina nicht nur einmal ein Abendessen bereitet (das Haus lag ja fast auf dem Weg vom Bahnhof in die Engelgasse). Martina Mätzler aus Andelsbuch ist mir später als Universitätsprofessorin Martina Kraml in Innsbruck wiederbegegnet. Ich denke auch an Hedi Meusburger (Roßhag) und Margot Ruhry aus Krumbach, damals beide Schülerinnen in Bregenz, erstere im Marianum, Margot in der Riedenburg. Ja, und auch an Charly von der Bäckerei Sutterlüty denke ich, an Franzls Mutter Elsa, an Erich Marth, der als Freiwiliger bei der Rettung war, und an Anita Moosbrugger aus Bersbuch. Dankbar bin ich Kaplan Werner Wittwer, der mich in der damals neuen „Arche“ unterhalb der Kirche mit vielen jungen Menschen in Verbindung gebracht hat. Auch Lisa Kohler aus Andelsbuch bleibt mir unvergessen. Sie war im Unfallkrankenhaus Bregenz in der Aufnahme und uns Egger Rettungsleuten besonders zugetan (besonders natürlich dem Franzl). Immer hatte sie Süßigkeiten („Böhm“) für uns parat, und am frühen Morgen nach der Abschiedsfeier im Wälderhof Lingenau haben wir bei ihr in ihrem Vorsäß Brand über Andelsbuch ein Frühstück bekommen – nur Franzl, Toni und ich.

 

Zu guter Letzt denke ich an die Kinder unserer Gastgeberfamilie Meusburger. Thres ist ja schon 1979 mit 48 Jahren verstorben, Herbert 2004 nach einem Lawinenunglück. Mit Christel hatte ich den letzten Kontakt, als sie mir den Tod von ihrem „Däta“ mitteilte. Was ist aus Leo, Dietmar und Edi geworden? Was aus den vielen anderen, an die ich mich nur noch vage erinnern kann?

 

48 Jahre mögen inzwischen manches verklärt haben. Was aber bleibt ist die Erinnerung, dass die sieben Monate in Egg die schönste Zeit war in meinem bisherigen Leben …


 

Hanspeter Kathrein stammt aus Galtür und hat nach dem Studium (Religionspädagogik und Französisch) als Redakteur beim Tiroler Kirchenblatt gearbeitet. Er lebt mit seiner Frau in Telfs;  zur Familie zählen drei erwachsene Kinder und vier Enkelkinder.


 

Hanspeter würde sich natürlich auf Reaktionen, speziell von Zeitzeugen von damals freuen. Kommentare am Ende des Blog sind immer willkommen. Registrieren und mitbloggen heisst die Devise.


 

Lieber Hanspeter. Vielen Dank für Deinen rührenden Bericht und die Bilder. Liebe Grüße nach Tirol, unbekannterweise.


 

Der Archiv Blog von Klaus Riezler ist ein Medium des Egger Kulturvereins

Infos und Tickets zu den moantlichen Veranstaltungen findet ihr hier:



 

1.687 Ansichten3 Kommentare

3 Comments


Guest
Jul 20

Wunderbar geschrieben....wie immer ein Genuß, die Texte zu lesen.....obwohl ich kein Wäldar bin und als Luschtenauer eine 'Fremdsprache' mehr kann 😁 Eckart Neururer

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Guest
Jul 14

Toller Bericht. Vielen Dank Hanspeter für diese Zeitreise.Unbekannterweise ganz liebe Grüsse nach Telfs und ich hoffe die Meusburger Buobo melden sich…Lucia aus Egg

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Guest
Jul 13

Ja, das har Hanspeter sehr rührend und sehr schön geschrieben! Und diesmal musste ich "Ausländerin" nur zwei Worte googeln: Jassen (hatte es vergessen, dass es ein Kartenspiel ist) und Schmealga (hübsches Mädchen). Liebe Grüße aus Köln - Hildegard

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